Mittwoch, 15. Mai 2013

Mama (2013)

Der erste Film, den ich hier "zerlegen" möchte, ist - anlässlich des eben gefeierten Muttertags - der kürzlich von meiner Holden und mir im Kino gesichtete Mama.
Also heißt es jetzt erst mal: Frische Mottenkugeln in den Schrank, entspannt die Füße hochlagern und ein warmes Kirschkernkissen in den Nacken. Ahhhhhh.....

Es sei gleich vorweg geschickt: Ich wollte "Mama" mögen, wirklich mögen.

Aus dem spanischen Sprachraum ist in den letzten Jahren/Jahrzehnten eine Menge an innovativen, spannenden Filmen gekommen, die dem Horrorgenre zuzuordnen sind (jüngstes Beispiel ist hier das grandios-beklemmende Sleep Tight). Seit fähige und kreative spanische/lateinamerikanische Regisseure wie Guillermo del Toro (der auch bei Mama seine Finger produzierenderweise mit im Spiel hatte) mit The Devil's Backbone, Alexandro Amenábar mit Tesis und The Others oder Jaume Balaguero und Paco Plaza mit ihrer Rec Trilogie einen Genreleckerbissen nach dem anderen auf das geneigte Publikum losgelassen haben, ist es also durchaus legitim, sich bei der Ankündigung eines neuen spanischen Horrorstreifens schon prophylaktisch die Finger zu lecken und bei Aufruf laut "Aquí!" zu schreien.

Bei Mama ist mir die anfängliche Euphorie, wie angesichts der Einleitung zu vermuten nahe liegt, jedoch leider relativ schnell vergangen und ich bin etwas resignativ in den Kinosessel gesunken, das mürrische Lästern der Holden neben mir immer weniger zu ignorieren imstande, und es blieb mir, und vielleicht auch dir liebe/r Leser_in, nur mehr die Frage: "Por qué?!"

Bevor ich Lob und Tadel über den Film ergieße (wobei der Schwerpunkt doch auf letzterem liegen wird), sei noch kurz der Inhalt umrissen:
Von der Finanzkrise gebeutelter Banker läuft gewissermaßen Amok, tötet dabei nicht nur seine Geschäftspartner, sondern auch seine Frau und entführt seine zwei kleinen Töchter. Nach einem Verkehrsunfall landen Vater und Töchter in einer abgeschiedenen Waldhütte, wo der verzweifelte Mann auch seine Kinder und danach sich selbst töten will. Er wird jedoch zuvor von einer nebulösen Frauengestalt getötet, welche sich fortan um die beiden Mädchen kümmert. Fünf Jahre vergehen bis die zwei verwahrlosten Kinder gefunden und zwecks Resozialisierung und Familienzusammenführung der Fürsorge ihres Onkels und dessen Freundin übergeben werden - ein Schritt in Richtung Geborgenheit und familiäre "Normalität", den die zurückgelassene Ziehmutter und Waldhüttenbespukerin nicht mit Wohlwollen betrachtet...

Soweit zur Ausgangslage. Tatsächlich liegt die Stärke des Films in dessen ersten paar Minuten, in denen die familiäre Tragödie atmosphärisch dicht und beklemmend nachvollziehbar dargestellt wird. Diese bedrückende Stimmung der Verzweiflung und der Trauer wird allerdings nicht lange aufrecht erhalten und der Film fällt erschreckend schnell in ein schon allzu bekanntes Muster der langsamen Grauenanbahnung, inklusive düsterer Vorahnungen, kryptischer Warnungen aus dem Dies- und Jenseits, unheimlicher Geräusche und Wandverzierungen im Haus etc. etc.
Mit dem kontemporären Horrokino und dessen, rein zur Schreckerzeugung eingesetzten und deshalb oft billig wirkenden, Effekten weniger Vertraute, werden dabei vielleicht ein paarmal, der Schwerkraft trotzend, aus dem Sitzmöbel gehoben, das geschulte Horrorauge wird aber eher ein fades selbiges machen und unbeeindruckt mit den Wimpern klimpern, vielleicht ein leichtes Gähnen dabei unterdrückend.

Wenn man glaubt es geht nicht mehr (vorhersehbar-konventioneller), kommt auch noch ein lächerlich überdesignter CGI-Geist daher und lässt einen, ob der unfreiwilligen Komik, erstaunt in Zweifel ziehen, ob man überhaupt im richtigen Kinosaal sitzt oder nicht doch versehentlich im letzten "Scary Movie"-Abtrieb gelandet ist.

Bei aller Kritik sei aber auch Positives am Film in Rechnung zu stellen. Die Zeichnung der Charaktere verlässt teilweise schon allzu ausgetretenes "weißes Mittelstand"-Terrain und macht in Form des jungen Punk/Künstler-Paars zumindest einen kleinen Schwenk in Richtung "alternative Lebenswelten". Auch die Familienzusammenführung und die zwangsmäßige "Verbürgerlichung" durch den Umzug in die Vorstadtidylle (-hölle?!) wird, wenigstens von der unangepassten Musikerin, die sich zunächst mit der Rolle der Erziehungsgenötigten so gar nicht anfreunden kann, nicht als positive Entwicklung empfunden (zumindest bis schlussendlich doch mütterliche Gefühle in ihr erweckt werden).

Die darstellerischen Leistungen der Protagonist_innen ist insgesamt sehr überzeugend - allen voran Jessica Chastain - aber auch die beiden Mädchen stehen dem in nichts nach (von Megan Charpentier wird man sicher in Zukunft noch öfter hören) und Game of Thrones-Fiesling/Schönling Nikolaj Coster-Waldau weiß ebenfalls die Sympathien der Zuschauer_innen zu erwecken.
Leider verschwendet der Film aber zu viel Zeit mit allzu sehr konstruiert wirkenden, schon über die Maßen hinaus abgeernteten Handlungssträngen (die Geschichte der "Mama"?!) und sinnlosen (hirnlosen!) Nebencharakteren wie dem forschungsbesessenen Arzt oder der penetranten Großtante, die dermaßen mit dem engen Schema ihrer plakativ-stupiden Rollen kämpfen, dass es eine reine Qual ist, ihnen dabei zuzusehen und man nur noch auf eine schnelle (ohnehin unausweichliche) Erlösung - für sie und von ihnen - hofft.

Möglicherweise ist der hier zum Ausdruck gebrachte Ärger etwas übertrieben, aber ein Charakter in einem Horrorfilm kann von mir spätestens in dem Moment kein Mitgefühl mehr einfordern, in dem er 1. mitten in der Nacht 2. allein 3. ohne Taschenlampe oder sonstige Beleuchtung 4. eine von einem rachsüchtigen Geist frequentierte einsame Waldhütte aufsucht. Jeder dieser Punkte einzeln wäre schon suizidal genug, könnte aber, für sich allein stehend, noch als vorübergehende Kurzschlussreaktion gewertet werden. Werden aber alle vier Punkte auf einmal erfüllt, ist der Charakter einfach nur saublöd und verdient es, qualvoll zu sterben. Punkt.

Solch offenbare Zurschaustellungen von Irrationalität kommen leider in Horrorfilmen sehr oft vor und sind für mich ein Indiz dafür, dass die Macher a) keinen großen Wert auf die Erschaffung dreidimensionaler, wirklichkeitsnaher Charaktere legen, mit denen man sich identifizieren, die man bewundern, mit denen man mitfühlen und mit denen man sich dementsprechend auch fürchten kann und/oder b) hauptsächlich darauf aus sind, Charaktere zu dem Zweck zu kreieren, sie im weiteren Handlungsverlauf möglichst effektvoll über die Klinge springen zu lassen.
Zu beiden Ansätzen muss ich sagen: Nein, danke! Viel zu oft schon gesehen und deshalb kaum mehr reizvoll.

Schade, denn in "Mama" wären durchaus gute Ansätze vorhanden gewesen, den Film zu etwas Anderem als der x-ten Kopie von der Kopie von der Kopie... zu machen (zum Beispiel in Form der visuell und dramaturgisch erfrischenden, leider aber kurzen und nur spärlich gesäten Traumsequenzen).

Zurück vom Kinobesuch bleibt also der fahle Nachgeschmack eines Alles-schon-gesehen, gemischt mit ein paar Prisen ärgerlichen Hätte-sein-könnens und das beständige Maulen der Holden im linken Ohr, warum wir uns "diesen teils unlogischen Sch****" überhaupt angeschaut haben.

Fazit:
Wer ein halbwegs stimmiges, atmosphärisches Gruseldrama sucht, ist mit Die Frau in Schwarz besser bedient. Wer nur mal einen Blick auf die CGI-Mama werfen möchte, kann sich gut eineinhalb Stunden Zeit sparen und führt sich den Kurzfilm Mama zu Gemüte, auf dem der Langfilm basiert (leicht zu ergoogeln durch Eingabe von "mama short").

Ist wie: Ein überzüchteter Hybridversuch aus Der Fluch von Darkness Falls und Die Frau in Schwarz - nicht Fisch, nicht Fleisch und trotz aller guten Absichten leider etwas in der Petrischale versumpft.

Wertung: Gutgemeinte 5 von 10 Kirschkernweitspuckverdienstabzeichen, mit Tendenz zur Aberkennung eines halben wegen Überschreiten der angedeuteten Geisterlinie.

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