Samstag, 27. Juli 2013

Horror-Hommage: Das Fliegengeräusch

In meiner neuen, unregelmäßig erscheinenden, Reihe - Yeah, neue Reihe! - mit dem Titel "Horror-Hommage" werde ich mich den, oft wenig beachteten und doch essentiellen, Elementen widmen, ohne die das Genre nicht vorstellbar wäre - seien es Soundeffekte, ikonografische Bildelemente oder wiederkehrende Motive, die passende Stimmungen erzeugen und Horrorfilme erst zu dem machen, was sie sind: Erschreckend (im besten Fall erschreckend gut).

Ein Element, ohne das kein Backwoods-Slasher, der etwas auf sich hält, auskommen würde, ist das, oft übertrieben laute, sonore Surren von Fliegen. Erfahrene Horrorkonsument_innen werden beim Ertönen der charakteristischen Fluggeräusche der geflügelten Insekten sofort erkennen: Hier ist etwas faul (verwest). Spätestens bei der Entdeckung der für den Insektenbefall verantwortlichen tierischen oder menschlichen Körper(teile) dämmert es dann meistens auch den tumbsten Protagonist_innen, dass schnellstmöglicher Rückzug angesagt ist. Denn merke: Tieffliegende Insekten bedeuten nicht nur schlechtes Wetter, sondern, vor allem in Kombination mit tiefhängenden Leichenteilen, unter Umständen auch unmittelbare Lebensgefahr.

Meine persönliche Beziehung zu Fliegen aller Art ist zwar ambivalenter Natur - besonders mein Verhältnis zur Stallfliege, die den Namen "Wadenbeißer" völlig zu recht trägt, ist seit Kindertagen getrübt -, da allerdings in Horrorfilmen Fliegen oft zu hören, interessanterweise aber kaum je zu sehen sind und generell eher als harmloses Mittel zum Zweck auftreten - prominente Ausnahme: Die Fliege (1986) - bin ich den Filmfliegen bzw. dem filmischen Fliegengeräusch grundsätzlich wohlgesonnen.

Es sei am Rande noch erwähnt, dass Fliegen gemeinhin nicht nur mit Tod und Verfall in Verbindung gebracht werden, sondern schon seit jeher auch ein Symbol für das Böse bzw. den Teufel sind. "Der Herr der Fliegen" ist beispielweise nicht nur der Titel des bekannten Romans von William Golding, sondern auch die Namensübersetzung des alttestamentarischen Dämons Beelzebub (eine landläufige Bezeichnung für den Teufel). 

Hier ist eine Abbildung desselben aus dem Dictionnaire Infernal (1863):

(Quelle: Wikipedia)

Man beachte die rockermäßigen Totenkopftattoos auf den Flügeln und den irren Blick - 
eindeutig eine horrorgeeichte BAMF-Fliege.

Es sei dir also gedankt, liebes Fliegengeräusch. Durch deinen unermüdlichen Einsatz lässt sich der, durch den Fernsehbildschirm (glücklicherweise) schwer zu transportierende, Geruch der fleischlichen Vergänglichkeit zumindest ansatzweise erahnen und die (un)wohlige Vorahnung "Hier ist schon jemand gestorben, hier wird noch jemand sterben" wird durch dich immer wieder stimmungsvoll untermalt.


Natürliches Vorkommen: Filme, in denen Gammelfleisch nicht in die Nahrungsmittelgroßproduktion eingeschleust, sondern eher im kleinen, familiären Rahmen für den privaten Gebrauch gelagert wird - meist ohne Einhaltung der Kühlkette. Vom Konsum dieser Ab-Hof Hinterwäldler -Produkte wird in jedem Fall dringend abgeraten.

Prominente Beispiele: Wrong Turn (2003), House of Wax (2005), The Hills have Eyes (2006), Evil Dead (2013)
 

Montag, 22. Juli 2013

Black Rock (2012)

Das Sommerloch hat auch in meinen Horrorfilmschaugewohnheiten zugeschlagen. 

Anders kann ich es mir zumindest kaum erklären, dass ich mir in den letzten Wochen zwar einiges an Genrekost zur Gemüte geführt habe, kaum etwas davon jedoch einen Kommentar von jeweils mehr als zwei Worten rechtfertigen würde. 
So habe ich beispielsweise den gefühlt 3738ten Found Footage Streifen Apollo 18 (2011) gesichtet (langweilig), mir mit Emergo (2011) sogar mit einem weiteren Wackelkamera-Film den Magen verdorben (ebenfalls öde), den Indie-Streifen Eddie: The Sleepwalking Cannibal (2012) verspeist (einigermaßen okay) und mich vom True Crime Film Die Morde von Snowtown (2011) verstören lassen (schwere Kost). 

Auch Black Rock bietet eigentlich nicht viel Innovatives oder Außergewöhnliches und ist auf dem Gebiet des Survival Thrillers wohl irgendwo im qualitativen Mittelfeld anzusiedeln. Ich möchte dem Film trotz seiner "Mittelmäßigkeit" dennoch ein paar Worte widmen - könnte mit meiner Schwäche für starke Frauen in Extremsituationen zu tun haben.

Zum Inhalt:
Die drei Freundinnen Abby, Lou und Sarah wollen bei einem gemeinsamen Wochenendtrip zu einer abgelegenen Insel Kindheitserinnerungen wieder aufleben lassen. Nicht nur die alten Bande sollen dabei wieder gefestigt, sondern auch jahrelang gehegte Konflikte aus der Welt geschafft werden. Bevor es jedoch dazu kommt, treffen die Frauen auf drei Jäger - kürzlich unehrenhaft aus dem Kriegsdienst entlassene Soldaten, wie sich später herausstellt -, und laden diese zum gemeinsamen Essen und Umtrunk ein. Das zunächst friedliches Beisammensein am Lagerfeuer läuft dann plötzlich aus dem Ruder als Abby sich gegen einen der Männer zur Wehr setzen muss. Nach der anschließenden Gewalteskalation müssen die jungen Frauen auf der einsamen Insel um ihr Leben laufen.

Wie schon erwähnt, handelt es sich bei Black Rock um einen relativ konventionellen Film, der wenig Überraschungen bietet und auch einige Schwachstellen aufzuweisen hat. Da wären beispielsweise die mehr schlecht als recht choreografierten Kampfszenen zu nennen, welche den Film besonders gegen Ende Spannung und Authentizität kosten. Auch die von den Protagonist_innen getroffenen Entscheidungen sind nicht immer ganz nachvollziehbar oder der jeweiligen Situation angemessen und manche Handlungselemente wirken gar zu bemüht oder konstruiert. 

Andererseits ist es aus meiner Sicht wiederum positiv hervorzuheben, dass der Kampf der Frauen ums (wortwörtlich) nackte Überleben nicht mit MacGuyver oder Rambo Methoden gefochten wird, also weder Jäger noch Gejagte auf die Idee kommen, irgendwelche lächerlichen Fallen zu basteln, wie es sonst in solchen Filmen oft vorkommt. Ein Pluspunkt des Films sind auch die Leistungen der drei Schauspielerinnen, die für die Ausweglosigkeit der Situation eine gute Projektionsfläche bieten und Schock und Verzweiflung ebenso glaubhaft darstellen wie Kampfgeist und Willensstärke. 

Visuell und akustisch ist der Film durchaus stimmungsvoll gehalten - schöne Landschaftsaufnahmen und ein guter Soundtrack (The Kills!) sind schließlich auch nicht zu verachten.

Fazit: 
Alles in allem bietet Black Rock nichts noch nie Dagewesenes und greift bei seiner Auswahl am Buffet bekannter Spannungsmuster und Figurenkonstellationen auch ein paarmal daneben. Trotzdem unterhält der Film in weiten Teilen und fesselt sogar in manchen. Das und die, über manche Schwächen im Drehbuch hinwegsehen lassende, Leistung der drei Hauptdarstellerinnen machen Black Rock zu einem alles in allem sehenswerten Film - nicht mehr und nicht weniger.

Und wer lieber die Abkürzung nimmt und seine Lebenszeit eher mit anderen Dingen als Horrorfilmen füllen möchte (kann ich nicht nachvollziehen, aber soll es ja auch geben) und trotzdem neugierig auf Black Rock geworden ist, der kann sich die Kurzfassung des Films in Form von dessen Trailer anschauen - aber Achtung: nur für zeitökonomisch knapp Kalkulierende und/oder Spoilerfreund_innen!
Black Rock (2012) Trailer (Englisch)

Ist wie: Ein, in manchen Stellen fauler, in anderen halbwegs gelungener, Kompromiss aus dem wunderbar beklemmend-atmosphärischen Eden Lake (2008) und dem grottig-schrottigen The Hike - Ausflug ins Grauen (2011) - kann gefallen, muss aber nicht.

Wertung: 5,5 von 10 Komfortsterne für einen gemütlichen Wochenendausflug auf dem, wie immer, nichts schiefgeht und von dem alle entspannt und wohlauf zurückkehren. Ahem.


Montag, 8. Juli 2013

World War Z (2013)

Wiederum ein Kinogang, wiederum ein Horrorfilm. Diesmal allerdings nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern durch meine liebe Schwester initiiert, die immer wieder gerne behauptet, mit schwachen Nerven ausgerüstet zu sein, bei unregelmäßig stattfindenden gemeinsamen Horrorfilmsichtungen aber regelmäßig das Gegenteil beweist. Habe ich sie mit dem Horror-Virus angesteckt? Möglicherweise. Im Zweifelsfall weise ich aber alle Schuld von mir, denn, so glaube ich, eine dementsprechende Disposition muss schon von Haus aus vorhanden gewesen sein. 

Leider gehörte der jüngst gesichtete Streifen nicht zu jenen, mit denen man Skeptiker_innen zum filmischen Horror bekehren könnte, obwohl seine Produktion horrende Summen verschlungen hat. Auf dem Programm stand World War Z nach einem Roman von Max Brooks, dessen Zombie Survival Guide eine ganze Weile lang auf meinem Nachtkästchen geruht hat - immer griffbereit, sollte plötzlich der Zombie-Ernstfall eintreten.

Den verrottenden Untoten aus Prinzip sehr zugetan, war ich bei World War Z deshalb gerne bereit, wenn nötig beide Augen zuzudrücken (die leichte Schwummrigkeit hervorrufende 3-D Brille hat ihr Übriges dazu beigetragen), was ich sah, hat mich aber trotzdem enttäuscht.

Der Inhalt ist schnell umrissen:
In der Heimatstadt von Ex-UN Mitarbeiter ("gespielt" von Brad Pitt) bricht plötzlich eine Zombie-Epidemie aus. Gemeinsam mit seiner Familie kann er gerettet werden, wird allerdings, im Gegenzug für die Garantie, dass Frau und Kinder in Sicherheit bleiben dürfen, ausgeschickt, um dem Ursprung der Seuche, die sich mittlerweile auf der ganzen Welt ausgebreitet hat, auf den Grund zu gehen. Seine Reise führt ihn zuerst nach Südkorea, danach nach Israel und schließlich zu einer WHO Forschungsstation in Wales - die Zombies sind ihm dabei immer dicht auf den Fersen.

Am Anfang vermag World War Z noch zu fesseln. Die Action stimmt, die schauspielerischen Leistungen sind größtenteils glaubwürdig und die beklemmende Weltuntergangsstimmung überträgt sich auch aufs Publikum. Leider kippt das ganze jedoch recht schnell in Richtung Konventionalität und verliert dabei immer mehr an Plausibilität. 

Was mir bei World War Z jedoch gleich als erstes sauer aufgestoßen ist, ist die - zugegebenermaßen eh zu erwartende, in seiner Dimension und Unhinterfragtheit jedoch immer wieder erstaunenswerte - westlich-amerikanische Geltungsmacht. Es mag sein, dass ich, was Imperialismus und die Aufspaltung der Welt in West und Ost bzw. in zivilisiert und unzivilisiert angeht, grundsätzlich etwas sensibel bin. Angesichts dessen, wie in World War Z die US-amerikanische Übermacht wiederum als letzte Hoffnung der Menschen und der Rest der Welt als praktisch handlungsunfähig und -willig im Chaos versinkend dargestellt wird, könnte man/frau allerdings schon ein wenig stutzig werden. Wenn man dann auch noch die tendenziell nationalistisch-rassistischen Darstellungen der bereisten Länder dazu zählt, und die Art und Weise wie im Film Themenkomplexe wie der Nahost-Konflikt oder der Krieg in Korea übers Knie gebrochen werden, kommt vermehrtes Schaudern auf. Fallen dann auch noch solche Aussagen wie "Indien ist ein schwarzes Loch", steigt hoffentlich auch mit postkolonialer Theorie bisher nicht Vertrauten ein wenig die Grausbirne auf.

Okay, es ist "nur" ein Horrorfilm, der noch dazu naiv genug ist, uns glauben machen zu wollen, die bei den Amerikanern so beliebte One-Man-Tour funktioniere auch bestens im Angesicht einer globalen Zombieepidemie.

Der Grad an Anspruch auf political correctness ist demnach, gemeinsam mit dem Anspruch auf Ernsthaftigkeit, von Haus aus recht niedrig anzusetzen. Ein gewisses Maß an Glaubhaftigkeit möchte ich aber trotzdem in jedem Film gewahrt wissen und das erreicht World War Z in weiten Strecken überhaupt nicht (Stichwort: Bruchlandung bei der WHO), sodass spätestens ab der Hälfte des Films auch die letzten, von den packenden Anfangssequenzen noch geschockten, Zuschauer_innen im Kinosaal aufgetaut sind und ob der - unfreiwilligen - Komik der Situation teilweise in schallendes Gelächter ausbrachen. 

Dabei sind die Effekte teils spektakulär und die Zombies in World War Z bieten eine ganze Palette von, aus dem Naturreich entlehnten, Fähigkeiten. Ihre primäre Aufgabe bestehen darin, wie von der Tarantel gebissen zu rennen. Daneben bestechen sie noch durch sekundäre Skills wie raubkatzenartiges Springen, ameisenhaufenartiges Aufeinanderklettern oder tsunamiartiges durch die Gassen Schwappen. Was sie allerdings anscheinend nicht können, und was sie damit grundlegend von anderen Zombies unterscheidet, ist: Fressen. 

Sie beißen sich zwar lustvoll reihenweise durch die panisch zerstiebenden Menschenmassen, bringen dabei entweder aber keinen sonderlich großen Appetit mit und gustieren sich sozusagen nur durch die menschlichen Supermarktregale, oder, was wahrscheinlicher ist, sie sind, gesteuert vom superintelligenten Virus, von dem sie befallen wurden, wirklich nur darauf aus, diesen möglichst schnell und effektiv weiterzuverbreiten, ohne sich an den wirklichen Annehmlichkeiten des Zombie(un)lebens zu erfreuen, nämlich: beißen, reißen, zerfleischen, ausweiden und verzehren. Da diese hedonistische Lebensweise im Zombiefall nämlich ein Mindestmaß an Blutvergießen erfordert, welches World War Z in keinem Fall zu liefern bereit ist (ich habe im ganzen Film lediglich 6 Brad Pitt'sche Blutstropfen gezählt), dürfen die Untoten hier bloß ein bisschen knabbern und müssen ansonsten traurig mit den Zähnen klappern. Mir persönlich sind Zombies lieber, wenn sie sich ihres (Ab)Lebens erfreuen und sich entweder gemütlich-wankend (Night of the Living Dead von 1968) oder hektisch-rennend (Dawn of the Dead von 2004) auf die Suche nach dem nächsten Frischfleisch-Kick begeben. 

Dass die Zombies im Fall von World War Z von einem scheinbar intelligenten Virus angeleitet werden, finde ich auch nicht so prickelnd. Willenlos, und damit quasi ihrer Menschlichkeit beraubt, sind Zombies ja ohnehin immer (eine kleine, feine Ausnahme bietet hier vielleicht das charmant-komische A little bit Zombie von 2012, in dem der zombifizierte Protagonist wirklich ein hohes Maß an Selbstbeherrschung an den Tag legt - oder es zumindest versucht), wenn schon Anarchie, dann allerdings richtig, nämlich ohne höhere Anleitung und unter größtmöglichem (körperlichen) Einsatz.

Globalisierte, sich der Marktökonomie des grenzenlosen schnellen Wachstums und der alles überrennenden sozialen Netzwerke unterwerfende Untote, die überhaupt keinen Sinn und keine Zeit mehr für Ausweiden und Verzehren mitbringen, sind mir auf jeden Fall sehr suspekt (davon gibt es, wie man zynisch anmerken könnte, ohnehin schon genug).

Fazit:
Ein blutleerer und zahnloser Zombiefilm kann fast nur ein Totalausfall sein. Ist er auch (beinahe) geworden, wäre da nicht die erste Hälfte des Films, die hinsichtlich Spannung und Action durchaus einiges aufwarten kann. Leider wird die anfänglich aufgebaute Atmosphäre der Bedrohung und Beklemmung jedoch jäh durch stupide Wendungen, lächerliche Szenen und ein Übermaß an Pathos zerstört. 

Wer Tschinderassabumm-Action mag und mit computeranimierten Zombies etwas anzufangen weiß, dem wird der erste Teil des Films vermutlich munden, wer unfreiwillige Komik schätzt und (amerikanischen) Schmalz braucht, dem wird der zweite gefallen. Im Ganzen gibt World War Z aber eine sehr zu wünschen übrig lassende Mischung ab, die nicht nur eingefleischten Zombiefans etwas schwer im Magen liegen dürfte.

Ist wie: Ein fades Faschiertes aus den ohnehin schon mauen Seuchen-Weltuntergangsfilmen Contagion (2011) und I Am Legend (2007) - viel zu gut durch für einen Zombiefilm nach meinem Geschmack (da muss das Blut spritzen!), viel zu halbgar für einen guten (Zombie-)Film im Allgemeinen.

Wertung: 3,5 von 10 geröteten Augenpaaren (zwei wegen der Trauer um das aus dem Fenster geschmissene Geld, der Rest wegen der 3-D Brillen).


Montag, 1. Juli 2013

Teeth (2007)

Hexen, Huren, Heilige, Fruchtbarkeits- und Todesgöttinnen. 

Neben ihrem, seit Jahrtausenden hohen, Stellenwert in der menschlichen Kulturgeschichte, was das Bild von Frauen und die jeweils gängige Auffassung von Weiblichkeit angeht, haben diese Motive eines gemeinsam: Sie sind alle eng mit Körperlichkeit verknüpft.

Der weibliche Körper scheint, über alle Kulturen und Zeiten hinweg, beständig eine Mischung aus Faszination, Abscheu, Begehren, Furcht und Verehrung hervorzurufen, die auch immer wieder gerne von (androzentrischen) Wissenschafts-, Religions- und Geistesströmungen aufgegriffen und in, mehr oder weniger verdeckt misogyne, Erkenntnis-, Glaubens- und Heilsbotschaften gekleidet wurde.

Ein prominentes Beispiel für die Fleischwerdung von, mit der weiblichen Körperlichkeit verbundenen, Vorstellungen und Ängsten, liefert das Standardwerk des Christentums, die Bibel, in mannigfaltigen Ausführungen. Oder glaubt hier jemand ernsthaft, dass bei der "verbotenen Frucht", zu deren Degustation Eva Adam bekanntlicherweise verführt, tatsächlich von einem Stück Obst die Rede sein soll?!

Hier wird auch die Sprengkraft ersichtlich, die von den eng mit Körperlichkeit verknüpften - bis heute teilweise auf diese reduzierten - Frauen ausgeht, nämlich die Sexualität. 

Gerade in einer Weltordnung, in der Begehren und Lust mit Sünde gleichgesetzt und stark tabuisiert wurden, entledigten sich die männlichen Delinquenten ihrer sexueller Sündenlast nur zu gerne, indem sie sie den Frauen aufluden und deren Körper zum Sinnbild für Verführung, Wolllust und Verdorbenheit machten. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die, bis heute noch stark von diesen religiösen Lehren und Ansichten geprägte, westliche Kulturgeschichte. Gerade die Heilige-Hure-Dichotomie, am prominentesten durch Maria (Magdalena) dargestellt, ist ein beliebtes Motiv im Katholizismus, um weibliche Körperlichkeit und (A)Sexualität zu stilisieren.

Jetzt stellt sich vermutlich bei dir, liebe/r Leser_in, berechtigterweise die Frage: Was soll das alles und was hat das mit Horrorfilmen zu tun?

Ich muss zugeben, ich habe etwas weit ausgeholt für den folgenden Schlag unter die (männliche) Gürtellinie. Da dieser beim zu besprechenden Film Teeth jedoch sehr hart ausfällt, erschien es mir sinnvoll, den kulturgeschichtlichen Hintergrund zuvor kurz zu beleuchten - vielleicht, um die von den männlichen Protagonisten im Film zu erduldenden Qualen ein ganz klein wenig zu mildern und in Relation zu stellen zu tausenden von Jahren an männlicher Macht über den weiblichen Körper.

Also, liebe Männer, anschnallen und festhalten. Es wird auch nicht sehr weh tun, versprochen!

Zum Inhalt:
Teeth beginnt relativ harmlos, wenn auch - zumindest für europäische Augen - etwas befremdlich, mit der Zusammenkunft einer Gruppe von christlichen Jugendlichen, die sich vorgenommen haben, unter allen Umständen mit dem Sex bis zur Ehe zu warten, sprich: am Anfang steht eine Keuschheitsbewegung. 

Dawn, Teenagerin und Protagonistin des Films, ist engagierte Sprecherin dieser Gruppierung und hängt felsenfest an ihrer Überzeugung, sich erst von dem Richtigen in ihrer Hochzeitsnacht deflorieren (blöder Ausdruck, klingt aber immer noch besser als "entjungfern") zu lassen. Ein möglicher Kandidat bietet sich schnell an, nach anfänglich keuschem Händchenhalten und scheuen Küssen, will dieser aber sehr schnell sehr viel mehr und schreckt auch nicht davor zurück, gewaltsam einzufordern, was ihm nicht zusteht. Hier wird die ganze Sache blutig, denn Dawns Vagina setzt einen bislang ungeahnten Abwehrmechanismus ein, der zunächst bei ihr selbst, und in weiterer Folge vor allem bei ihren, hormonell regelrecht überkochenden, männlichen Artgenossen Angst und Schrecken erzeugt.

Dawn muss im Grunde jetzt da durch, wo alle Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchmüssen: Durch die Hölle der Pubertät. Das reicht von der Entdeckung und Erkundung der eigenen Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit bis zur Erforschung fremder Körper und Lüste und schließt sowohl die anfängliche Abneigung gegen die, nicht selten als monströs empfundenen, körperlichen Veränderungen ein, als auch die, idealerweise am Ende stehende, Erkenntnis, dass es eh okay ist, wie man/frau eben ist. Bei der Hauptdarstellerin in Teeth kommt halt erschwerend hinzu, dass sie über eine Vagina dentata (bezahnte Vagina) verfügt - ein Mythos, der nicht von ungefähr von Sigmund Freud im Zusammenhang mit seiner Theorie der Kastrationsangst aufgegriffen wurde - und diese beißt, wenn sie sich bedroht und/oder unwohl fühlt, recht fest zu.

"Und der Haifisch, der hat Zähne... und die trägt er (nicht!) im Gesicht..."

So stapeln sich nach und nach die, von einem Teil ihrer Männlichkeit befreiten, Liebhaber, wobei keine im Film gezeigte Verstümmelung unprovoziert passiert, also - wie sich die männerfressende Feministin in mir freut anzumerken - jedermann mehr oder weniger verdient, was er bekommt.

Der Film spielt vor der Kulisse einer idyllischen amerikanischen Kleinstadt - die Kinder leben in sexueller Abstinenz, gehen brav zur Schule, wo in den Biologiebüchern sicherheitshalber die Darstellung der Vulva mit goldenen Sternen überklebt wurde, und im Hintergrund rauchen die pittoresken Kühltürme der sauberen Energieform Atomkraft beschaulich vor sich hin. Eben diese Idylle wird sehr gekonnt und amüsant als scheinheilig dargestellt und nach und nach entlarvt, das passiert aber teilweise auf recht plakative, vereinfachende Art und Weise, was dem Film etwas an Sprengkraft nimmt. 

In der vereinfachenden Darstellung liegt überhaupt die große Schwäche des Films. Zwar ist klar, dass es sich hierbei um eine Satire handeln soll und dementsprechend sowohl die Charaktere als auch deren Handlungen überspitzt dargestellt werden, ein wenig mehr gendermäßige Ausgeglichenheit hätte dennoch nicht geschadet und ein, zwei männliche Sympathieträger wären schon drin gewesen, anstatt alle "Herren der Schöpfung" pauschal als potentielle Triebtäter abzuwatschen.

Fazit:
Teeth ist eine nicht gut gemeinte Abrechnung mit religiösem Fanatismus, kleinbürgerlicher Borniertheit und Scheinheiligkeit und in erster Linie mit dem männlichen Geschlecht(steil), dem in unserer Gesellschaft noch immer erschreckend oft die (sexuelle) Macht über den weiblichen Körper zugestanden wird. Das vorgezeigte Beispiel, den Spieß der sexuellen Gewalt in Richtung der Männer einfach umzudrehen, dürfte zwar wenig zur Lösung des Geschlechterkonflikts beitragen, bietet in seiner filmischen Ausformung allerdings für manche (schadenfrohe) Frauen und einige (masochistische) Männer recht hohe Schauwerte und kurzweilige Unterhaltung.

Das Potential, das der Film in sich trägt, dazu anzuregen, vielleicht mal ein wenig über die bestehenden Geschlechterverhältnisse nachzudenken, verflüchtigt sich allerdings größtenteils durch die satirische Überhöhung und die klischeebehafteten Charaktere. Als Parabel von weiblicher körperlicher Selbstbemächtigung und als Aufforderung an junge Frauen, selbstbewusst mit ihrem Körper und mit ihrer Sexualität umzugehen, kann man Teeth aber durchaus so stehen lassen.

Ist wie: Der konsequent-skrupellose Feminismus aus The Woman (2011) wird mit dem Coming-of-Age-Motiv aus Excision (2012) in Jennifers Body (2009) vereinigt. Der Männerverschleiß ist entsprechend hoch, die Drop-out-Rate der maskulinen "Verschleißteile" ebenso.

Wertung: 6,5 von 10 gegen Pussy Riot Sturmhauben eingetauschte Keuschheitsringe.